Als ich zum ersten Mal aus der großen Wohnküche in den Garten trete, tut sich eine neue Welt auf.
Der Himmel ist groß, mächtig und dehnt sich von der linken Unendlichkeit bis zur rechten Unendlichkeit. Genau so unendlich scheint auch der Blick in die Ferne. Feldlerchen trällern ihren Gesang über den mächtigen Weizenfeldern, die sich kilometerweit über die Landschaft erstrecken. Begrenzt von Knicks und Alleen ergibt sich eine liebliche Kulturlandschaft.
Ganz nah höre ich einen Kuckuck rufen. Und die Antwort aus der Ferne lässt nicht lange auf sich warten. Ein Hund bellt und ein Hahn schreit seinen Status lautstark in die Landschaft. Der Wind rauscht in den Blättern der Bäume und Büsche, frischt auf und legt sich wieder.
Es riecht nach gemähtem Gras und der leichte Wind trägt von irgendwo her den Geruch von Grillfeuer vorbei. Keine Polizeisirene, kein Motorengeheul, kein ungeduldiges Hupen stört die Natur. Spatzen im Familienverbund picken im Gras, tummeln sich auf den Zweigen der Büsche und Bäume und flattern hin und her. Ameisen arbeiten emsig um einen dicken Baumstamm und schwarze Käfer taumeln etwas ungeschickt durchs hohe Gras.
Ich betrete die Wiese und bei jedem Schritt springen Grashüpfer in alle Richtungen davon. Schmetterlinge mit bunt gefärbten Flügeln balancieren in der Luft, bevor sie dem Klischee alle Ehre machen und von Blüte zu Blüte taumeln. Dabei sind sie allerdings nicht allein. Kleine und große Hummeln, manche dick und flauschig, begleiten die Falter auf ihrem Flug. 4 Mehlschwalben kontrollieren, was sich um ihren in Arbeit befindlichen Neubau so abspielt.
In der Ferne flimmert die Luft und der endlos blaue Himmel spannt sich wie ein großes Dach über das Treiben hier unten. Die Thermik nutzend lassen sich Greifvögel elegant und mühelos über die Landschaft tragen, um im Sturzflug herabzustoßen, sobald sie lohnende Beute erspäht haben. Aus der Ferne höre ich Kraniche trompeten und ab und zu ergänzt das Klappern des Storchenpaares vom Dorfplatz das Konzert.
Wenn der Wind sich legt nehmen wir alle Geräusche in der Natur noch intensiver wahr. Die Spatzen zschilpen entspannt ihre angeregten Gespräche. Aber als der Kater des Nachbarn durchs Gras streicht wird es laut und es gibt ein Mordsgezeter! Ab und zu bellt ein Hund. Die Klangfarbe verrät etwas über seine Größe.
Die Natur und das kleine Dorf atmen im Einklang unregelmäßiger Töne, die sich in chaotischem Wechsel, mal lauter und mal leiser wiederholen und ein Bild ländlicher Vielfalt von Farben, Gerüchen, Wärme, Wind und Tönen zeichnen.
Ein leichter Nordostwind kommt auf. Wenn er über die kleinen Härchen auf Armen und Beinen streicht fühlt sich das beinahe an wie eine Liebkosung. Der Windhauch mildert die Hitze des Nachmittags, die sich schmeichelnd auf die Haut legt.
Später am Abend, wenn der Mond langsam am Himmel sichtbar wird und die Sonne ablöst, kommt die große halbe Stunde für viele Insekten – und ihre Fressfeinde. Schwalben im Tiefflug machen reiche Beute und ihr typisches Gezwitscher füllt den Abendhimmel. Als schließlich die Sonne am Horizont verschwunden ist wird es langsam still. Selbst der Wind hat sich gelegt und nur ab und zu bellt noch ein Hund.
Der schwarze Vorhang der Nacht fällt über das Tiefblau der Dämmerung. Der Vollmond scheint am obersten Ast des verkrüppelten Baumes direkt hinter dem Feld zu hängen. Eine ungeahnte Zahl von Sternen ziert den nächtlichen Himmel und kurz vor Mitternacht hat sich die Milchstraße eindrucksvoll wie ein riesiger Rauschwaden quer über den Himmel gezogen.
Es ist jetzt so still, dass das Konzert der Frösche im nahen Teich erscheint, als käme es aus der eigenen Stereoanlage. Jeder Schritt im Gras verursacht ein deutliches Knacken. Selbst Mäuse und Feldhamster hört man im nahen Weizenfeld rascheln. Die eigenen Ohren sind durch den Wegfall des urbanen Geräuschpegels fein sensibilisiert.
Je länger ich die Ruhe genieße, um so lauter wird die Stille, bis ein lautes Schmatzen diese Stille durchbricht. Die beiden Igel im halbhohen Gras treiben wilde Spiele.
Als ich die Terrassentür von innen schließe ist die tagsüber unhörbare Küchenuhr an der Wand ein laut tickender Störenfried.
Birgit & Roland Stumpp im Mai 2018